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Ohne Digitale Produktpässe keine (unternehmerische) Zukunft

Intensive Beratungen in den DCC-Fachbeiräten Kitchen/Bath sowie Living zur Umsetzung von ESPR-Vorgaben für Möbel

Herford den

Rund 60 Vertreter aus Möbelindustrie und -handel, Software-Dienstleister sowie Verbundgruppen trafen sich am 14. und 15. Mai zu den Fachbeiratssitzungen Kitchen/Bath sowie Living des Daten Competence Center e.V. (Herford) in der neu eröffneten ‚Lehrfabrik Möbelindustrie‘ in Löhne. Die Themen EU-Ökodesign-Verordnung und deren Umsetzung mit dem digitalem Produktpass brennen ‚unter den Nägeln‘, insbesondere nachdem Mitte April die Kommission den „2025-2030 Working Plan“ zur ESPR veröffentlicht hatte. Dabei hat Brüssel ‚Möbel‘ von vormals vierter Stelle auf Platz zwei der Prioritätenliste vorgerückt – für die Bereitstellung aller relevanten Daten sowie deren Strukturierung verbleiben nur wenige Jahre.

Nach Begrüßung der Teilnehmer beider Sitzungen durch DCC-Geschäftsführer Dr. Olaf Plümer stellte dieser die Lehrfabrik Möbelindustrie ausführlicher vor. Dieses mit Abstand bisher größte gemeinsame Projekt der Möbelindustrie ist inzwischen hervorragend gestartet – nicht zuletzt dank der außerordentlichen Förderung durch Nordrhein-Westfalen sowie umfangreicher Maschinen-, Anlagen- und Materialspenden von Ausrüstern und Zulieferern. 

Vor kurzem startete der Bau des zugehörigen Boardinghauses, was die Attraktivität der Bildungseinrichtung insbesondere überregional zusätzlich erhöhen sollte. Interessante Rundgänge vor bzw. nach jeder der beiden Fachbeiratssitzungen ließen tiefere Einblicke in die zahlreichen Möglichkeiten bei Aus- und Weiterbildung der Lehrfabrik zu.

Im Fokus der Veranstaltungen stand der Digitale Produktpass im Kontext zur Umsetzung der 2024 veröffentlichten EU-Ökodesignverordnung (Ecodesign for Sustainable Products; ESPR) mit dem Ziel, Endgebraucher vor Kauf wirtschaftlicher Güter umfassend und besonders zum Schwerpunkt Nachhaltigkeit zu informieren – sprich, Kaufentscheidungen im besten Sinn des Wortes „nachhaltig“ positiv zu beeinflussen. 

Dr. Plümer und Frau Degenhard berichteten zu den jüngsten Entwicklungen und Festlegungen im Arbeitsplan 2025-2030 der EU-Kommission zu ESPR, in den Workinggroups des JTC-24 im CEN/CLC, über die geplante Zeitschiene beim Digitalen Produktpass, zu der geforderten Artikelkennzeichnung (Unique Identifier) und selbstverständlich zum Klassifizierungssystem ECLASS, in dessen neuester, möbelrelevanten Version – veröffentlicht auf www.dcc-mobel.org – auf Merkmalsebene die für die jeweiligen DPP relevanten Produktdaten angelegt werden können. 

Dazu gehören auch – so die klare Forderung der EU im jüngst veröffentlichten Arbeitsplan – digitale Informationen zum CO2-Fußabdruck, zum Wasserverbrauch durch die Produktion selbst vor der Inverkehrbringung von Produkten, zur Haltbar- und Reparierbarkeit sowie zu den Optionen und Umfang der Recycelfähigkeit. Diese gewollte Transparenz zugunsten der Verbrauchenden zieht nahezu zwangsläufig auf Herstellerseite die Hinwendung auf umweltorientierte Beschaffungs- und Absatzmärkte nach sich. 

Vorgenannte JTC-24 ist DAS Gremien auf CEN-Ebene, welches sich mit dem System Digitaler Produktpässe und dessen harmonisierten Normen auseinandersetzen. Die geforderten Passdaten selbst liegen außerhalb der Verantwortung dieses Gremiums: hierzu und zur Zeitachse greift der aktuelle EU-Arbeitsplan zur ESPR, der zudem nun weitere Anforderungsmerkmale enthält, die in den DPP zu hinterlegen sind. Der geringe Umfang des Arbeitsplans mit nur 14 Seiten täuscht also – das Dokument zieht zahlreiche branchen- und unternehmensrelevante, zumindest technisch lösbarer Konsequenzen nach sich.

So beispielsweise die Wichtung von Möbeln im ESPR, welche auf Platz 2 heraufgerückt sind. Die Folge: Der rechtswirksame Delegated Act hierzu datiert nun neu auf 2028. Bei einer Umsetzungsphase von 18 Monaten heißt dies, dass (worst case!) ab 1. Juli 2029 keine Möbel mehr in Verkehr gebracht werden dürfen, für die kein DPP vorliegt. Die verbleibende Zeit ist also knapp, die Anstrengungen gewaltig – zum einen für die Industrie bzw. Hersteller, zum anderen für den Handel.

Während erstere im Fall von Küchen als typische Kommissionsware für jedes Bauteil komplette Datensätze erarbeiten (oder sich zuarbeiten lassen) müssen oder Polstermöbelhersteller unter dem Druck stehen, dass der Delegated Act für Textilien (Stichwort: Bezugsstoffe) bereits 2027 greifen könnte, steht der Möbelhandel vor Herausforderungen u.a. bei Erstinverkehrbringung importierter Nicht-EU-Ware. Was wiederum Fragen zur wirksamen Marktüberwachung auslöst. Ein Konfliktfeld, welches bei nicht in der EU ansässigen, aber in diesem Wirtschaftsraum aktiven Online-Plattformen (Shein, Temu etc.) derzeit unzureichend geklärt scheint.

Eine Inverkehrbringung von Möbeln ohne DPP führt folglich ab Stichtag zur Unzulässigkeit. Somit ist klar, dass der Möbelhandel eine Warenannahme dann verweigern muss und in den nächsten Monaten gegenüber der Industrie zunehmend Druck aufbauen wird. Auf den Fachbeiratssitzungen wurde ebenso deutlich, dass Dienstleister bei der Erstellung der DPP nur begrenzt unterstützen können: Die Verantwortung bei der Produktidentifikation liegt allein bei den Wirtschaftsbeteiligten. Die EU-Kommission wiederum hat sehr ehrgeizige Ziele gesetzt: Das JTC 24 soll bis Ende 2025 alle Standards formuliert, bis März 2026 harmonisiert haben!

Für die Möbelindustrie stehen seit einiger Zeit normierte Arbeitsgrundlagen über das Klassifizierungssystem ECLASS zur Verfügung. Mit anderen Worten: Wer dessen neueste Version bereits nutzt oder mit der Nutzung zeitnah beginnt, ist klar im Vorteil – denn die Zeit drängt. Vergleichbares gilt für das Datenaustauschformat für Geschäftsprozesse: Wer EDI im Unternehmen bereits etabliert hat, kann ebenso sicher für die Zukunft planen.

Zu ECLASS informierte Stefan Wilms (Morphe) auf den Sitzungen nochmals intensiv. Das System bildet die Grundlage für die kommenden Produktpässe, die verwendete Semantik ist optimal und als vorgeschalteter Standard können alle Produktbereiche für Möbel inkl. Matratzen abgedeckt werden. Ein weiteres Plus: Die Daten zu den Vorprodukten bei der Möbelherstellung – wie Beschläge oder Platten – können ebenfalls via ECLASS klassifiziert und für DPP nutzbar gemacht werden. Damit ist die gesamte Wertschöpfungskette Möbel umfasst!

In einem weiteren Tagesordnungspunkt berichtete Anika Degenhard (Leiterin Standardisierung im DCC) über die Ergebnisse der Arbeitskreis-Sitzungen seit dem jüngsten Treffen der Fachbeiräte zu Ende vergangenen Jahres. In den Arbeitskreisen zum Datenformat IDM Küche/Bad wurde die neue Version 3.1.0 verabschiedet und zum 01.05.2025 veröffentlicht. Für die komplexen Herausforderungen rund um variantenabhängige Mehrpreise wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die ihre Lösungsvorschläge an den Arbeitskreis berichtet. Beim IDM Living wiederum ist die Verabschiedung von Version 4.1 bis Ende 2025 geplant.

Der Arbeitskreis 3D nahm Präzisierungen zur Dokumentation IDM-3D.Material vor – die intensive Arbeit wird sicherlich mit der Veröffentlichung von Version 1.2 bis Jahresende gekrönt. Spannend hier die bereits länger diskutierte Etablierung von Material-Datenbanken, die im Kontext der kommenden Digitalen Produktpässe mit den dort hinterlegten ‚Enviromental Footprints‘ grundlegende Bedeutung erhalten werden. 

Die aktuell vorwiegend von den Polsterherstellern genutzte IDM-3D.Geometry wird derzeit von den Kastenmöblern geprüft, die IDM-3D.Connection um die Höhenkoordinate (z.B. für Hängeschränke) erweitert. So werden die Formate auch für den Bereich Küche/Bad und Wohnmöbel nutzbar. Das letzte noch fehlende Puzzlestück die Doku zum IDM-3D.Product wird nun ebenfalls angegangen. Man rechnet mit einem ersten Entwurf bis Jahresende.

Im Arbeitskreis EDI wurden die neue Version ORDRSP (+AVIS) (Bestellbestätigung und Lieferavis) sowie DESADV (Lieferschein) erarbeitet und per März 2025 veröffentlicht, die Neuerungen für EUDR-Angaben und Informationen zum DPP enthalten. Beide Fachbeiräte bekräftigten nochmals die Vorschläge aus den Arbeitskreisen vollinhaltlich und vorbehaltlos, sodass damit solide Arbeitsgrundlagen für die Branchenunternehmen vorliegen.