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Zukunftsszenarien als unternehmerisches Planungsinstrument

21. Möbelrunde: Landesminister Duin lädt ein zu Dialog über EU-Subventionen und EEG

Herford den

Die "Möbelrunde Ostwestfalen-Lippe" begrüßte zu ihrer 21. Ausgabe Mitte vergangener Woche Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen, als Ehrengast im Hettich-Forum, Kirchlengern. Seine mit Interesse aufgenommenen Ausführungen bildeten ein gelungenes hors d'oeuvre zu den von Dr. Andreas Siebe präsentierten Denkmodellen zu den Zukunftsszenarien der Möbelindustrie.

Die Initiatoren der Möbelrunde Dr. Reinhard Göhner, Berlin, Dr. Lucas Heumann, Herford, Dr. Andreas Hettich, Kirchlengern, sowie Steffen Kampeter, Berlin, hatten traditionell wieder ins Kirchlengener Forum des Beschlagspezialisten Hettich geladen. Zahlreiche Branchenvertreter, die Regionalpolitik, Netzwerker sowie die Presse waren diesem Ruf gefolgt.

Belastungen des Mittelstands steigen unentwegt

Gemäß seiner exponierten Rolle als Hausherr war es an Dr. Hettich, den aus Düsseldorf angereisten Landesminister Garrelt Duin und die anderen Gäste willkommen zu heißen - in bekannt charmanter Art mit Handschlag und danach mit einem launigen Eröffnungsstatement. Hierbei ließ es sich der Unternehmensinhaber nicht nehmen, die Landespolitik mit der Aussage "2013 haben wir das erste Mal mehr EEG-Umlage als Gewerbesteuer gezahlt!" zu konfrontieren. "Gekrönt" durch den Nachsatz, dass die Gewerbesteuerzahlungen von Hettich zudem beachtlich seien, wie der anwesende Kirchlengener Bürgermeister Rüdiger Meier wohl bestätigen könne.

Dies als Einstieg zur wirtschaftlichen Lage der Holz- und Möbelindustrie nutzend, berichtete Dr. Lucas Heumann über das aktuelle Spannungsfeld von Nachfrageschwäche, subventionsbefeuertem Preisdumping und wachsender Abgabenlast. Eine insgesamt unbefriedigende Lage, die - von dem plus-minus-Null Ergebnis vom Vorjahr ausgehend - sich wohl bestenfalls 2015 zum Besseren wenden könnte. Denn die gegenwärtige Erholung wichtiger Exportmärkte wie Holland, Spanien und Großbritannien wird die Kaufzurückhaltung bei Möbeln auf dem deutschen Inlandsmarkt kaum kompensieren können.

EU-Subventionen an Polen kommen als Dumpingpreise zurück

Ein Novum erlebte die Möbelrunde anschließend mit der tiefgehenden Analyse von Dr. Heumann zur EU-Subventionspraxis - denn in allen zwanzig vorangegangenen Gesprächskreisen war das Thema "Subvention" bewusst nicht zur Sprache gekommen. Bisher war die Möbelbranche stark und innovativ genug, hausgemachte oder von außen heran getragene Probleme aus eigener Kraft zu lösen oder um Einfluss auf die politischen Rahmenbedingungen zu nehmen.

Die jedoch seit einiger Zeit der polnischen Möbelindustrie als "verlorene Zuschüsse" zugebilligten direkten Investitionsbeihilfen seien einzigartig, so Dr. Heumann. Dabei bekennt sich der Hauptgeschäftsführer der Möbelverbände Nordrhein-Westfalen natürlich zu einer aktiv gestaltenden Industriepolitik - gezielt für Infrastruktur oder Bildung.

Offizielle Subventionsbeschwerde des VDM im Sommer

Die aktuelle Vergabepraxis in und für Polen allerdings führt erstens zu dramatischen Wettbewerbsverzerrungen bis hin zur Aushebelung der Marktmechanismen, zweitens zur Bestrafung gerade polnischer Unternehmen - nämlich jener, die unternehmerisch verantwortungsvoll aus eigener Kraft und Innovationsfähigkeit im Markt ihren Platz gefunden haben, und drittens sei sie eine geradezu provozierende Aufforderung an die deutsche Möbelindustrie zur Standortverlagerung nach Polen!

Dr. Heumann informierte die anwesenden Gäste schließlich über die geplante offizielle Beschwerde des Verbands der Deutschen Möbelindustrie bei der Europäischen Kommission und forderte die Landesregierung eindringlich zur Unterstützung dieses Anliegens auf. Immerhin seien die Möbelbranche, ihre Zulieferer und das zugehörige  Dienstleistungsnetzwerk in Nordrhein-Westfalen überregional strukturbestimmend und europaweit einzigartig.

Landespolitik am Dialog mit der Wirtschaft sehr interessiert

Garrelt Duin griff diesen Faden auf und unterstrich, dass die Landesregierung klar zu struktur- und innovationsfördernden Programmen der EU stehe. Jedoch gehören NRW und die dort ansässige Industrie uneingeschränkt dazu. Minister Duin positionierte sich mit drei Maximen: Nordrhein-Westfalen ist und bleibt 1. Industrieland, 2. Heimat der Familienunternehmen und 3. Raum für jede Art von Kreativität.

Zur Energiepolitik versicherte Duin den Gästen, dass das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) so überarbeitet werden müsse, dass Planungs- und Investitionssicherheit für die Unternehmen wiederhergestellt werden. Zum Gedankenaustausch über Maßnahmen der europäischen und deutschen Wirtschaftsförderung lud er die Branche herzlich in die nordrhein-westfälische Landesvertretung nach Brüssel ein.

Sturmwarnung für die 'Insel der Glückseligen'

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, Steffen Kampeter, richtete nachfolgend das Grußwort der Bundesregierung an die Branchenvertreter der Möbelrunde. Nach seinen Worten sei die Lage von Deutschland derzeit rundum respektabel, wie die beschlossene Schuldenbremse, ein stimmiger Arbeitsmarkt, eine allen Einflüssen trotzende Konjunktur, die stabile Währung und Innovationsoffenheit unterstreichen. Auf der Sollseite verführen diese positiven Fakten jedoch schnell zu einem gewissen Desinteresse an Veränderung, Gestaltung und letztlich Zukunftsfähigkeit, wie Kampeter mit Blick auf den Hauptvortrag des Tages zum Szenario-Management mahnte.

Dr. Andreas Siebe, Vorstand der ScMI AG aus Paderborn, illustrierte in seinem Vortrag Szenarien und Handlungsoptionen für die Möbelindustrie. Unter der Fragestellung "Wie möchte Ihr Kunde morgen wohnen" seien verschiedene, ja sogar konträre Möglichkeiten denkbar: von Möbel als Lifestyle-Faktor und Objekt der Begierde (positive Szenarien) bis hin zur Discounter-Vermarktung von Möbeln, dem Diktat von Preiskämpfen oder reiner Funktionalität (negative Szenarien).

Fünf Hauptszenarien für die Möbelindustrie 2025

"Irgendwo" in diesem Beziehungsgeflecht liegt die Zukunft der Möbelindustrie, die von insgesamt 20 ermittelten Schlüsselfaktoren beeinflusst wird. Mittels Szenario-Management sind Denkmodelle möglich, die mit Blick auf die Zukunft strategische unternehmerische Entscheidungen vorbereiten helfen. Damit unterscheidet sich diese Planungs- bzw. Denkmethodik von der klassischen Prognose und Trendanalyse mit ihren primär aus der Vergangenheit hergeleiteten Aussagen.

Szenario-Management versteht sich als zukunftsoffenes, strategisches und vernetztes Denken mit dem Ziel qualitativer und langfristiger Zukunftsoptionen. Aufgrund ihres breiten Erfahrungsschatzes und Methodenspektrums hat die ScMI AG sowohl mit der Mehrzahl der DAX-Unternehmen als auch mit zahlreichen KMU in mehr als 250 Szenario-Projekten erfolgreich zusammengearbeitet.

Politische Rahmenbedingungen: Schlüssel im globalen Wettbewerb

Den Vortragsteil der 21. Möbelrunde OWL beendete Dr. Andreas Hettich mit einem kleinen Schlusswort. Darin kam deutlich die Sorge zum Ausdruck, dass losgelöst von den dargestellten Szenarien willkürliche, administrative Eingriffe in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Deutschlands - wie beispielsweise die "Rente mit 63 ohne Abschlag" -  zu tiefgreifenderen Verwerfungen in den Unternehmen führen als "nur" Verbraucherverhalten, Wettbewerbsdruck oder Innovationsfähigkeit.

Parallel zur Möbelrunde fand eine Poster-Präsentation mit den Ergebnissen der Szenario-Studie Möbelindustrie im Hettich-Forum statt. Jedes der anschaulich dargestellten Szenarien wurde fachkundig von den Mitarbeitern des Projektteams erläutert. Zu einem tiefergehenden Vortrag von Dr. Siebe am Nachmittag kamen weitere 35 Interessierte - vorwiegend aus den Bereichen Design, Produktentwicklung und Vertrieb. Auch eine türkische Besucherdelegation im Hause Hettich nahm sich die Zeit, um die Entwicklungsmöglichkeiten der deutschen Möbelindustrie näher zu durchleuchten.